Hört endlich mit dem Flugtaxi-Bashing auf! Damit wird eines der wenigen neuen Innovationsthemen „made in Germany“ unnötig schlecht geredet.
Die Kritik an Flugtaxis ist falsch und unnötig
Als Dorothee Bär sich vor ein paar Monaten zum Thema Flugtaxis äußerte, folgte ein Shitstorm in den sozialen Netzwerken. Bis heute wird unser Digitalministerin (BTW: die erste in unserer Geschichte), die CSU wie auch die ganze Regierung mit Häme und Spott überzogen, wenn es um dieses Thema geht.
Ich verstehe das nicht. Und ich will es auch nicht. Lasst uns Flugtaxis, die sinnbildlich für eine neue Generation von vertikal startenden und landenden Fluggeräten (VTOL) gehören und im besten Fall sogar autonom fliegen, nicht totreden! Sie sind eine der wenigen Strohhalme, welche die deutsche Wirtschaft in Sachen Technologie und mobiler Zukunft zu bieten hat.
Bevor ich das näher erkläre, möchte ich zuerst noch ein paar Punkte der Flugtaxi-Kritiker aufgreifen.
Nr. 1: „Wir haben in Deutschland gerade wichtigere Themen als Flugtaxis!“
Diesem Argument stimme ich nur bedingt zu. Klar ist: Ja, es gibt aktuell größere und wichtigere Herausforderungen als fliegende Autos. Klimawandel, Fachkräftemangel, soziale Ungerechtigkeit, Fremdenhass, mangelhafter Breitband-Ausbau … die Liste fällt lang aus.
Aber sind wir mal ehrlich: Wann war die Liste mit Problemen je kürzer? Es gab noch nie problemfreie Zeiten – und sie wird es auch nie geben. Deswegen investiert unsere Regierung Geld in die Weltraumforschung oder ins CERN, obwohl man die Budgets auch gut in die Lösung des weltweiten Hungers oder in den Weltfrieden stecken könnte. Tut man aber nicht. Nur weil man das eine macht, muss man ja nicht das andere lassen – gerade nicht einem so wohlhabenden Land wie Deutschland.
Nr. 2: „Fliegende Autos sind doch nur ein Hirngespinst!“
Nein, sind sie nicht. Es gibt sie. Und das eigentlich schon seit vielen Jahren. Ich erinnere mich an Konzepte, die ich schon als kleiner Junge (das war vor 30-35 Jahren) mit Begeisterung verfolgte.
In Deutschland arbeiten Volocopter aus Bruchsal und Lilium aus München an Flugtaxis, auch Airbus hat schon einen Prototypen vorgestellt. Weltweit entwickeln zahlreiche Unternehmen Flugtaxis, fliegenden Autos und dergleichen. Zum Beispiel Ehang, Aoeromobil, Terrafugia, Kitta Hawk und auch Tesla.
Bislang hat noch kein Hersteller die Serienreife erlangt. Aber das Rennen dahin läuft auf Hochtouren. Das, was wir aus SciFi-Filme wie 5th Element kennen, wird zunehmend zur Science und weniger zu Fiction.
Nr. 3: „Flugtaxis lösen nicht unsere bestehenden Mobilitätsprobleme!“
Jein.
Flugtaxis sind kein Massentransportmittel wie Busse, Bahnen oder Linienjets. Das behauptet auch niemand. Aber echte Taxis sind das auch nicht. Sie stellen eine Mobilitätslösung von vielen dar.
Der Vorteil von Flugtaxis: Sie werden nicht durch die Probleme unserer immer voller werdenden Straßen negativ beeinflusst. Sie fliegen einfach darüber hinweg. Da der Himmel dreidimensional ist, wird es auch keinen Flugtaxi-Stau geben. Außer bei den Starts und Landungen vielleicht. Aber dieses Problem dürfte durch intelligente, voll digitale Leitsysteme in den Griff zu kriegen sein, denke ich.
Schnelle Verbindungen ohne Staus, am besten auch noch mit Ökostrom-Betrieb: Wenn Flugtaxis im große Stil eingesetzt werden, können sie ein paar unserer Mobilitätsprobleme verringern.
Nr. 4: „Flugtaxis sind nur etwas für Reiche!“
Ja, das mag anfangs so sein. Die Technologie ist neu und kann zum Start noch nicht massenhaft eingesetzt werde. Dementsprechend fallen die Kosten hoch aus.
Blicken wir in die ferne Zukunft, bin ich überzeugt, dass die Nutzung von Flugtaxis für die breite Masse erschwinglich sein wird. Heutzutage kann sich der Otto-Normal-Bürger ja auch ein eigenes Auto, Kreuzfahrten und Urlaubsflüge leisten. Das war vor ein paar Jahrzehnten noch ganz anders.
Nr. 5: „Flugtaxis sind unsicher!“
Warum? Nur weil sie fliegen und somit keine Bodenhaftung haben? Ein schwaches Argument. Denn: Wie viele Flugzeuge fallen bei uns pro Tag, pro Monat oder pro Jahr vom Himmel? Fast keine! Das Flugzeug ist rein statistisch betrachtet sogar das sicherste Transportmittel der Welt! Ich bin der festen Überzeugung, dass Flugtaxis mindestens genauso sicher sein werden.
Wir brauchen Flugtaxis. Unbedingt!
Auch wenn fliegende Autos vorerst kein Massentransportmittel sind, unsere Verkehrs- und Umweltprobleme nicht lösen werden, und die Entwicklung hohe Kosten verschlingt, sage ich: Lasst uns Flugtaxis bauen. Möglichst schnell!
Warum?
Nr. 1: Ein neues Innovationsthema
Die deutsche Wirtschaft hat in den letzten Jahren viele Innovationsthemen verschlafen, zum Beispiel die Entwicklung von sozialen Netzwerken, Cloud Computing, KI und viele andere Facetten der Digitalisierung. Auch unsere Vorzeige-Industrie – die Automobilindustrie – hat sich lieber mit der Optimierung der Spaltmaße und der Erfindung von Diesel-Schummelsoftware beschäftigt, anstatt ausreichend in Elektromobilität und autonom fahrende Autos zu investieren.
Mercedes, VW und BMW mag es vielleicht noch gelingen Tesla und der Konkurrenz aus Fernost Paroli zu bieten, doch gegen GAFAM (Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft) können wir in absehbarer Zeit keinen Blumentopf gewinnen. Und auch sonst sieht es in Sachen Digitalisierung ziemlich düster aus.
Wir brauchen also andere Technologien, in denen wir die Führerschaft übernehmen können. Eines davon könnten Flugtaxis sein. Das Spielfeld ist neu, die Akteure bringen sich gerade in Stellung, und das Match hat noch nicht begonnen. Die ideale Ausgangslage, um jetzt mit voller Power einzusteigen und die erste Halbzeit für sich zu entscheiden!
Nr. 2: Wir müssen mal dranbleiben
Deutschland ist weltweit als das Volk der Dichter, Denker und Tüftler bekannt. Goethe, Schiller, Einstein, Daimler, Benz, Bosch … unsere Geschichte bot einige herausragende Persönlichkeiten. Und unser deutscher Mittelstand ist etwas, worum uns viele Länder beneiden. Hier gibt es unzählige Weltmarktführer und Hidden Champions.
Was gerne vergessen wird: In unserer Vergangenheit gab es schon unzählige Erfindungen und Technologien, die in Deutschland entwickelt wurden, wir aber nie richtig davon profitiert haben. Konrad Zuse erfand den ersten Computer, das Fraunhofer-Institut das MP3-Format, und der Transrapid wurde mit Steuer-Milliarden erprobt. Was haben wir daraus gemacht? Wenig bis gar nichts.
Fliegende Autos sind die Chance, sich mal wieder als Pionier zu zeigen. Somit bin ich voll und ganz bei Doro Bär, die Deutschland zum Weltmarktführer bei Flugtaxis machen will. Lasst uns also das Thema nicht kleinreden, schlecht machen und zu Tode diskutieren, sondern mit Vollgas anpacken!
PS: Flugtaxis sind selbstverständlich nicht das einzige Innovationsthema, das Deutschland zu bieten hat – das ist mir auch klar. Aber es steht sinnbildlich für eine ganze Reihe an Konzepten, die bei uns leider nur halbherzig umgesetzt werden.
PPS: Wie eine aktuelle Bitkom-Umfrage zeigt, sind die Deutschen in Sachen Flugtaxis gespalten. Rund 50% der Befragten sind für ein Verbot, die andere Hälfte befürwortet den Einsatz bspw. als Ergänzung zum ÖPNV. Ich bin sehr gespannt, wie sich die Meinungen in den kommenden Jahren verschieben werden.
Bilder: Lilium Aviation, Bitkom
Jürgen liebt Digitalisierung, StartUps und Marketing. Deswegen schreibt er als freier Fachautor für bekannte Publikationen über diese Themengebiete. Und er unterstützt als Marketing-Strategie-Berater StartUps und mittelständische Unternehmen bei ihrer Marketing-Strategie.
In diesem Blog hält er seine Gedanken er über seine Lieblingsthemen fest. Deswegen dreht sich hier alles um Digitalisierung, Marketing, Innovationen, E-Commerce und StartUps.